Wir sind die Guten!
Stefan Shaw, Kommentar,
Die Monopolkommission der Bundesregierung hat sich in ihrem aktuellen Hauptgutachten, das sie im Juli 2014 vorstellte, auch mit der Kinder- und Jugendhilfe beschäftigt. Bereits in 1996/97 hatte die Kommission die Verschränkung der freien Wohlfahrtspflege mit dem sozialen Versicherungssystem als „bilaterales Kartell“ beschrieben.

An dieser Diagnose hat sich in den vergangenen knapp 20 Jahren offensichtlich wenig geändert. So fasst die Monopolkommission im aktuellen Gutachten zusammen:

„Privilegien weniger großer etablierter Anbieter wie der Liga der Spitzenverbände zulasten Dritter be- oder gar verhindern den Wettbewerb.“

Die dargestellten Wettbewerbsverzerrungen widersprechen laut Monopolkommission zentralen Vorgaben der Kinder- und Jugendhilfe:

„Anbieter im Arbeitsbereich der Kinder- und Jugendhilfe dürfen nicht diskriminiert werden (Freiheit auf Anbieterseite), und den Leistungsberechtigten als primären Nachfragern muss ein möglichst vielfältiges, bedarfsgerechtes Angebot zur Verfügung stehen (Freiheit auf Nachfragerseite).“

Soweit die Monopolkommission.

Wer zu diesen allgemein gehaltenen Aussagen konkrete Anschauung benötigt, kann einen der vielen neuen Sozialunternehmer im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe befragen, die in den letzten Jahren versucht haben, mit innovativen und oftmals nachweislich wirksamen Lösungsansätzen öffentliche Förderung einzuwerben.
Natürlich drängt sich hier die Frage auf, wie es angehen kann, dass Mitglieder von Wohlfahrtsverbänden oder – wie von der Monopolkommission dokumentiert – die Wohlfahrtsverbände selbst offensichtlich immer wieder gegen die (Freiheits-)Interessen unser aller Wohlfahrt handeln können, ohne dass dem (insbesondere aus den eigenen Reihen) Einhalt geboten wird?

Institutionen, gleich ob privatwirtschaftlich geführt oder öffentlich gefördert, sind grundsätzlich an ihrem Fortbestand interessiert. Dies gilt natürlich auch für Einrichtungen der freien Wohlfahrt. Sich gegen Wettbewerber zu verteidigen, ist ein natürlicher, legitimer Reflex, der ein wertvoller Treiber für die Entwicklung neuer Lösungen ist. Mit Innovationen punkten lässt sich allerdings nur in einem funktionierenden Markt, der Innovationen auch honoriert. Wer sich dagegen erfolgreich in Kartellen organisiert, setzt den Markt außer Kraft und unterbindet damit automatisch die Entwicklung außergewöhnlicher und eventuell überraschender Lösungen.

Im Unterschied zur „freien“ Wirtschaft haben wir es im sozialen Sektor vorwiegend mit Einrichtungen zu tun, die sich nicht nur „Wohlfahrt“ nennen, sondern sich der allgemeinen Wohlfahrt auch glaubhaft verpflichtet fühlen. Wie also können diese es vor sich und ihrem gemeinwohlorientierten Anspruch rechtfertigen, produktive Marktkräfte außer Kraft zu setzen?

Vielleicht weil „Markt“ in diesem Feld ohnehin nichts zu suchen hat? Weil die nichtsoziale Marktwirtschaft doch genau die Ungerechtigkeiten und Nöte produziert, die zu lindern die Wohlfahrt angetreten ist? Weil die Wohlfahrt, maßgeblich geprägt von Caritas und Diakonie, per se die Guten sind? Weil sie es – Krankenasyl und Armenspeisung – doch immer schon waren? Und alle, die das anders sehen, grundsätzlich die eher nicht so Guten?

Wenn dem so wäre, hätte unser Gemeinwesen ein Problem. Das Problem, dass in einem gewaltigen Markt (allein die Kinder- und Jugendhilfe hatte in 2012 ein Volumen von 32 Mrd. EUR) Gesinnungskartelle entstanden sind, in denen Mitglieder sich per se für die Wohlfahrt berufen fühlen und anderen ihre Eignung aufgrund falscher Gesinnung absprechen. Dies würde auch erklären, warum derzeit die Verständigung so schwierig ist zwischen Vertretern von Wohlfahrtsverbänden und Bürgern, die Wirksamkeitsnachweise einfordern, um damit die Grundlage für einen Wettbewerb um die besten sozialen Lösungen zu schaffen. Weil es vielleicht gar nicht um Argumente geht. Sondern um Ideologie.

Wenn dies zuträfe, bliebe nur noch eine Frage. Sie ist, zugegeben, rhetorisch: War Ideologie in unserer Geschichte jemals eine gute Grundlage, um drängende soziale Probleme zu lösen?

pageview counter pixel