TTIP: Freie Wohlfahrt und unfreier Wettbewerb
Philip Scherenberg,
Übergeordnetes Ziel des TTIP ist der Freihandel zwischen der EU und den USA. Man nimmt sich darüber hinaus nichts Geringeres vor, als Vorbild zu werden für alle weiteren transnationalen Abkommen, die dem Zusammenwachsen der Welt, also der Globalisierung dienen.

Friede, Freiheit und Wohlstand sind zugleich Rahmen und Ziele. Am Abkommen wird gewackelt durch Debatten über Datenschutz, Mindestlohn und Föderalismus. Diese Debatten müssen geführt werden und die neuen Ideen müssen ihnen standhalten können. Die Wohlfahrt beansprucht hier eine Sonderstellung.

Warum nicht mal ein kleines Gedankenexperiment wagen: Legen wir für einen Moment die Furcht vor dem Durchmarsch des neoliberalen, kapitalistischen Systems ab. Stehen wir mal eben dazu, wirklich gute, wettbewerbsfähige soziale Leistungen errungen und etabliert zu haben. Gehen wir einmal davon aus, dass alle diese liebgewonnenen Leistungen nicht nur angenehm, sondern auch wirksam, innovativ und effizient sind. Dann müssten wir doch keine Angst haben vor der transatlantischen Konkurrenz, sondern Aufbruchsstimmung fühlen! Dann stünde doch unserer Wohlfahrt plötzlich die halbe Welt offen! Dann könnten wir unseren Aktionsradius ausweiten, das Gute in die Welt tragen und global quasi an die ganze halbe, freie Menschheit denken, statt nur innerhalb von Landes- und also Steuergrenzen.

Doch genau hier liegt das Problem. Wir müssen davon ausgehen, dass unser Wohlfahrtssystem außerhalb unserer Steuergrenzen, ohne staatliche Subventionen, nicht besonders attraktiv ist. Umgekehrt jedoch wird vielleicht jemand Neues von außen Anspruch auf ebensolche Subventionen erheben, um mit diesen „wirksamere, innovativere, effizientere“ soziale Dienstleistungen anzubieten. Die Folge: Wettbewerb. Wer kann das nur wollen.

Fortschritt bedeutet Veränderung und Veränderung bedeutet Loslassen. Das fällt besonders schwer, wenn man das Fortschrittsversprechen nicht teilt. Im Bereich der Kultur ist hierüber ein lauter öffentlicher Streit entbrannt. Für den Bereich des Sozialen findet die Debatte bislang nur diskret statt zwischen der Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege (BAGFW) und dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWI).

Im Positionspapier des BAGFW heißt es zu den TTIP-Verhandlungen: „Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sprechen sich nicht grundsätzlich gegen Wettbewerb und Markt aus. Die Erbringung sozialer Dienstleistungen unterliegt allerdings besonderen sozialrechtlichen Rahmenbedingungen und Standards, die mittlerweile in den europäischen Wettbewerbs- und Binnenmarktregeln anerkannt werden. Von daher sprechen sich die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege dafür aus, die sozialen Dienste als Dienste von allgemeinem Interesse von den Verhandlungen auszunehmen.“

Man ist also nicht grundsätzlich gegen die freie Marktwirtschaft, sondern nur dort, wo man sich selbst dem Wettbewerb ausgesetzt sieht.

Es wird damit ein Wirtschaftsbereich vom transatlantischen Wettbewerb ausgenommen, der Subventionen erhält, Konkurrenz fürchtet und nur bescheidene Ambitionen hat, sich weiterzuentwickeln. Damit ist die Debatte darüber, welche Auswirkungen TTIP auf den sozialen Sektor haben könnte, leider schon wieder beendet, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat.

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