Im Osten nichts Neues?
Ute Volz, Skalierung,
Eleven lernt jeden Tag dazu. Die unter dem Dach von Eleven angesiedelten Organisationen tauschen sich regelmäßig beim „Insulanertreffen“ aus. Thema im September war die Präsenz der sieben Initiativen im Osten Deutschlands.

Derzeitiger Stand: 384:32. Die Organisationen, die bei eleven zusammen wirken, sind in den Alten Bundesländern einschließlich Berlin an 384 Standorten präsent. In den Neuen Bundesländern sind es gerade mal 32 Standorte. Das entspricht einer prozentualen Verteilung vom 92,3 % im Westen und 7,7 % im Osten. Warum dieses Ungleichgewicht? Programme für Kinder und Jugendliche werden doch sicher nicht nur im Westen benötigt. Wie sieht es zum Beispiel in Sachsen und Thüringen aus?

Eingeladen waren Daniela Weinbrecht, Projektmanagerin bei Die Komplizen und Initiatorin des Standorts Chemnitz, sowie Anne Schulfter, Landeskoordinatorin Thüringen von wellcome. Beide berichteten detailliert von ihren Erfahrungen. Sie beleuchteten die Situation von beiden Seiten: die Zusammenarbeit mit der jeweiligen Zielgruppe und den Ehrenamtlichen einerseits, die Hürden bei Projektträgern, -partnern und -förderern andererseits.

Der Freistaat Sachsen ist mit elf Standorten von fünf Organisationen das Bundesland, das am besten mit den bei eleven vertretenen Unterstützungsprogrammen „versorgt“ wird. Jedoch sind zahlreiche lokale Anbieter dort bereits in der Kinder- und Jugendförderung aktiv. Der Wettbewerb um Fördermittel ist groß. Seit der Wiedervereinigung stieg in Sachsen die Anzahl der Träger durch umfangreiche Fördermaßnahmen stark an. In Zeiten begrenzter Finanzmittel herrscht nun Konkurrenzdruck, nicht nur bei der Zielgruppe, sondern auch bei der Vergabe öffentlicher Fördermittel. Programme, die aus anderen Teilen Deutschlands nach Sachsen skaliert werden sollen, stoßen weder bei Trägern noch bei Förderern auf Gegenliebe. Matthias Kretschmer, Standortleiter Leipzig der Joblinge, bezeichnete die Situation als „überharten Verdrängungswettbewerb“. Mit dem entsprechenden Durchhaltevermögen könne es aber dennoch gelingen, das nötige Vertrauen aufzubauen und Fuß zu fassen, so Daniela Weinbrecht.

Über Familienberatungsstellen und Schulen funktioniert die Ansprache in der Regel gut. Sobald man Jugendliche einzeln gewinnen muss – wie bei den Joblingen –, kann es mühsam sein, die benötigte Teilnehmerzahl für ein Programm zu erreichen. Konkretes Beispiel: In Sachsen sprachen die Joblinge 150 Jugendliche an, um schließlich bei 20 Teilnehmern zu landen. Die Akquise von Ehrenamtlichen, die diese Familien, Kinder und Jugendlichen unterstützen, funktioniert unterschiedlich gut, und zwar in Abhängigkeit von der angesprochenen Personengruppe. Während Schüler, Studierende und Mütter bzw. Hausfrauen großes Engagement zeigen, sind Berufstätige nur schwer vom Einsatz als ehrenamtliche Mentoren zu überzeugen. Hintergrund ist möglicherweise die hohe Arbeitsbelastung. Wenn beide Partner in Vollzeit arbeiten und dann noch Kinder zu versorgen sind, bleibt natürlich wenig Luft für ein zusätzliches Engagement.

In Thüringen scheint die Trägerlandschaft nicht so überdimensioniert zu sein wie in Sachsen. Die geringere Größe des Bundeslandes ermöglicht zudem kürzere Wege und somit einen direkteren Zugang zur Politik. Anne Schlufter berichtete von einem anderen Phänomen. wellcome ist mit seinem Social-Franchise-System auf mutige und innovative Träger angewiesen, die den Ansatz der „praktischen Hilfe nach der Geburt“ in ihr Programm aufnehmen und die finanziellen Mittel dafür selbst einwerben. Wie überall sonst auch, findet man durchaus solche Partner. Es scheint aber in Thüringen und anderen ostdeutschen Bundesländern schwerer zu sein, da viele Verantwortliche die Hürden des Fundraisings für unüberwindbar halten.

Liegt es an der Sozialisation der Beteiligten, die zu Zeiten der DDR Fundraising als private Initiative gar nicht kannten? Mag sein. Aber es braucht die private Förderung. Die öffentliche Hand kann die finanziellen Lücken in der Regel nicht füllen. Als absoluter 707Ausnahmefall unter den aktuell 14 Standorten der Joblinge gilt der Leipziger Standort. Seit 2015 erhält er eine nahezu 100-prozentige öffentliche Förderung. Fast schon exotisch.

Wie sieht es anderorts aus? Während das Land Brandenburg bisher keines der eleven-Programme beherbergt, sind in Mecklenburg-Vorpommern immerhin zwei Organisationen mit sieben Standorten vertreten. Sachsen-Anhalt hat bisher insgesamt vier Standorte von drei verschiedenen Organisationen. Mit den Joblingen startet dort nun die vierte. Gründe für das zögerliche Wachstum in diesen drei Bundesländern werden von den Akteuren in der niedrigen Bevölkerungsdichte und im Mangel an regional agierenden und fördernden Stiftungen sowie finanzkräftigen Unternehmen vermutet. Stiftungen, Unternehmen und Bildungspartner treiben die Skalierung von deutschlandweit tätigen Programmen der Kinder- und Jugendförderung häufig maßgeblich voran. Balu und Du, buddY und Chancenwerk beispielsweise wachsen, wenn sie gerufen werden. Sie vergrößern ihre Reichweite auf Zuruf, eröffnen einen neuen Standort, wenn die benötigten Partner vor Ort bereitstehen.

Fazit: Man muss wohl akzeptieren, dass ein schrittweises Wachsen das vernünftigere Vorgehen ist und die Landkarte entsprechend lückenhaft bleibt. Manchmal gibt es aber auch gute Nachrichten. Matthias Kretschmer war an dem Abend verhindert, weil er in Halle an der Saale alle Hände voll zu tun hatte. Für die Joblinge startet er dort eine neue Filiale. Der Weg dahin war jedoch mühsam: Zwei Jahre Vorarbeit waren nötig, um ein weiteres Fähnchen auf die Karte zu setzen.

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