Betrug der anderen Art
Philip Scherenberg, Kommentar,
Der entscheidende Kunde fast aller sozialen Unternehmer in Deutschland ist die öffentliche Hand. Mit einer Finanzierungsquote von gut 60–80 %* ist sie der mit Abstand wichtigste Vertragspartner. Wie laufen Verhandlungen zwischen dem Sozialunternehmer und seinem wichtigsten Kunden ab?

Nun, sie laufen schlecht bis gar nicht ab, denn der Verhandlungsspielraum des Sozialunternehmers ist sehr beschränkt.

Nehmen wir exemplarisch die Festlegung des „angemessenen Einkommens“ eines Sozialunternehmers, der sich selbst mit seinen Projekten finanzieren muss. Das Einkommen errechnet sich statt aus dem Erfolg eines Programms oder der Anzahl zugleich laufender Projekte aus dem, was die Bewilligungsbehörde in Bezug auf zwei Kriterien für angemessen hält: absolute Stunden, die bisherige vergleichbare Programme brauchten (schon mal kein guter Ausgangspunkt für Innovation) sowie Lohn pro Stunde.

Die Behörde ist dabei verpflichtet, Anträge nach den Prinzipien von „Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit“ zu prüfen. Damit sollen nicht etwa ausschweifende Gelage auf Steuerkosten unterbunden, sondern vor allem dafür gesorgt werden, dass sich niemand „bereichert“. In Euro bedeutet das, dass selbst erfahrenste Experten wegen des sogenannten Gleichbehandlungsgrundsatzes selten mehr als 49 Euro pro Stunde abrechnen können (inklusive Umsatzsteuer wohlgemerkt). Warum? Weil ja auch der Sachbearbeiter (also der Verhandlungspartner) auf Seiten der bewilligenden Behörde nicht mehr verdient!

Es kommt noch besser, denn in dieser Überlegung nicht berücksichtigt sind Krankenversicherungszuschüsse, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Pensionsansprüche, Unkündbarkeit, Fahrtkostenzuschüsse und sonstige Vergünstigungen, welche für den Antragsbearbeiter selbstverständlicher Bestandteil seines Lohnpakets sind, für den Antragsteller jedoch nicht.

Die einzig verhandelbare Variable der Lohnrechnung ist der Zeitaufwand, der notwendig ist, um das Projekt durchzuführen. Abzurechnen als Anteil der gesamten Arbeitsleistung. Ein ambitionierter Sozialunternehmer wird meist auf verschiedenen Projekten zugleich tätig sein und muss jeweils einen beträchtlichen Dokumentationsaufwand betreiben, um die von der öffentlichen Hand geforderte Transparenz vorzuhalten.

Als Sozialunternehmer kommt man in der Regel mit 40 Stunden pro Woche nicht weit. Eher braucht es da schon 50 bis 100 Stunden, denn viele Veranstaltungen, etwa mit Ehrenamtlichen, finden außerhalb der Kernarbeitszeiten und an Wochenenden statt – und je nach Projektlage auch noch an verschiedenen Standorten. So kann es vorkommen, dass man de facto drei Projektstellen zu jeweils 50 % ausfüllt oder vier Stellen zu 30 % etc. Das aber ist natürlich nicht vorgesehen, denn Grundlage der Bewilligung bleibt eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden.

Somit bleibt dem Sozialunternehmer nur noch ein Weg, nämlich der Betrug ganz anderer Art. Damit er sein Projekt im Interesse der Öffentlichkeit überhaupt durchführen kann, verschweigt er die Arbeit, die dazu tatsächlich notwendig ist und sieht sich in der Folge dann doppelt benachteiligt: Weder wird seine Arbeitszeit bezahlt, noch sein unternehmerischer Einsatz. Dem Unternehmer mit der 80-Stunden-Woche steht aus Sicht der öffentlichen Hand für seinen Einsatz (und sein Risiko) das Sachbearbeitergehalt einer 40-Stunden-Woche zu. Innovationen, wie sie der Sektor dringend brauchen könnte, werden in derartigen Rahmenbedingungen wohl eher selten entstehen.

(*) Quellen: http://trendreport.betterplace-lab.org/ueber-sozialen-sektor und Badelt, Christoph; Ausblick: Entwicklungsperspektiven des Nonprofit Sektors, in: Badelt, Christoph (Hrsg.), Handbuch der Nonprofit- Organisation, Stuttgart 2. Aufl. 1999, S. 527

pageview counter pixel